ABSTRAKTION / REDUKTION mit der Künstlergruppe connex – berlin

ABSTRAKTION / REDUKTION
connex_berlin – malerei zeichnung objekte fotografie
annette polzer jürgen kellig jutta barth siegrid müller-holtz
Vernissage am 15. März 2015, 17 Uhr bei Lortzing Art

Eröffnungsrede von Viktoria Krüger

ABSTRAKTION / REDUKTION
connex_berlin – malerei zeichnung objekte fotografie
annette polzer jürgen kellig jutta barth siegrid müller-holtz
Vernissage am 15. März 2015, 17 Uhr bei Lortzing Art
Lortzing Art
Hoch oben
über den Dächern der Stadt
zwischen Himmel und Erde
liegt ein räumliches Dreigestirn.
Es ist ein besonderer Ort
mit einer – je ne sais pas quoi? –
eigen-artigen Atmosphäre.
Vielleicht ist es die Art der Annäherung
das Einschweben mit dem Lift
oder das Erklimmen der Stufen?
Vielleicht ist es der genius loci
das Spüren von Energie, Kreativität,
Lebendigkeit und Gestaltungswillen?
Vielleicht ist es die Hüterin des Hortes,
die hier arbeitet und wirkt,
die Raum bietet für andere und anderes?Vielleicht ist es das Gefühl,
willkommen zu sein?
Es ist ein KULT-ORT,
geschaffen für die Begegnung
von Kunst und Mensch.
Guten Tag meine Damen und Herren,
liebe Freundinnen und Freunde von Kunst und Kultur!
Ich freue mich, dass Ihr Weg Sie heute an diesem besonderen Ort geführt hat!
Die Hüterin des Hortes, Inge-Rose Lippok, lädt sich bekanntermaßen gerne Gäste
ein. Dieses Mal ist es ein Quartett aus Berlin, genannt connex_berlin, das den
Reigen der diesjährigen Saison eröffnet, und seine Arbeiten, insgesamt 70 –
inklusive drei Objekten, die auf Sockeln postiert sind – hier vorstellt.
Als Titel der Ausstellung haben sich Jutta Barth, Siegrid Müller-Holtz, Annette
Polzer und Jürgen Kellig – die alle heute anwesend sind – für ihre Malerei,
Zeichnung, Objekte und Fotografie „abstraktion / reduktion“ gewählt.
Der Titel ist sozusagen Programm und gemeinsamer Nenner. Ich habe mir seit einer
Weile angewöhnt, den Begriffen nachzuspüren, um ihrer Bedeutung gerecht zu
werden – auch, wenn sie mir vertraut und bekannt erscheinen. Zum einen, weil ich
es ausgesprochen spannend finde – zum anderen, weil ich des Öfteren bass
erstaunt bis regelrecht verärgert bin, wie schlampig damit umgegangen und der
eigentliche Sinn entstellt wird. Daher möchte ich in einem kurzen Exkurs auf die
beiden Termini eingehen:
Abstraktion – lateinisch für „Abziehung“ – steht für „Verallgemeinerung zum Begriff“,
„Begriffsbildung“, „Generalisierung“, aber auch für „Einbildung“. Er findet sich in
vielen Bereichen wieder, zum Beispiel in der Philosophie, Psychologie, Mathematik,
der Sprachwissenschaft und in der Bildenden Kunst.
Hier bezeichnet Abstraktion die – in unterschiedlicher Ausprägung – erfolgte
Reduzierung der dargestellten Sachen auf wesentliche oder ausgewählte
Gesichtspunkte: das Allgemeine wird auf das Wesentliche abstrahiert. Durch frei
erfundene Formen wird Eigenes geschaffen, unter Vermeidung der
Veranschaulichung der Realität. Dabei bestimmt einerseits die Künstlerin/der
Künstler – bzw. ihre/seine Kreativität – das Wesentliche und andererseits dieBetrachterin/der Betrachter, im Rahmen der jeweils möglichen individuellen
Wahrnehmung.
Eines der Synonyme für Abstraktion ist Reduktion – lateinisch für „Zurückziehung“,
„Umwandlung“, „Umrechnung“. Auch dieser Begriff findet sich in vielen Disziplinen
wieder, zum Beispiel in der Physik, Chemie, Meteorologie, Informatik, in der
Philosophie, der katholischen Kirche – bei den Jesuiten -, bei der Weinherstellung
und Nahrungsmittelproduktion. Nicht jedoch explizit in der Bildenden Kunst.
Aus den zahlreichen Bedeutungen, die der Duden anbietet, möchte ich zwei nennen,
da sie am passendsten erscheinen:
„das Zurückführen auf ein geringeres Maß“ und „den Rückschluss vom Komplizierten
auf etwas Einfaches“, die „Vereinfachung“.
Soviel zur Einstimmung, wenden wir uns nun den 3 Künstlerinnen und dem Künstler
zu.
Jutta Barth ist mit 19 Arbeiten vertreten, die in diesem und im dritten Raum, in der
Vitrine, zu sehen sind. Mit dabei ist die Skulptur „ Das Paar“, die dort drüben auf
dem Sockel steht.
Die Künstlerin wurde 1949 in Stuttgart geboren, studierte Kunsterziehung und
Deutsch als Lehramt, arbeitete als Lehrerin, sattelte ein Psychologiestudium auf, das
sie mit dem Diplom abschloss. Daneben belegte sie regelmäßig Zeichen- und
Kunstkurse.
Seit 1993 arbeitet Jutta Barth als Freie Künstlerin in Berlin. In diesem Jahr begann
sie auch mit dem Papierschöpfen, dem pulppainting, angeleitet durch Carla Gänßler.
Seit 1998 ist sie Mitglied im Bundesverband Bildender Künstler Berlin, seit 2003
zudem im Verein Berliner Künstler und seit 2014 Stellvertretende Vorsitzende.
Auch die Übernahme von Lehraufträgen an verschiedenen Institutionen, in
Deutschland und Italien, zählt zu ihrem Aufgabenspektrum.
Seit 1989 stellt Jutta Barth aus, als Einzelpräsentation oder im Rahmen von
Gruppenausstellungen, in Deutschland, Italien und Frankreich.
Ihre beiden Schwerpunkte sind die Fotografie und das malerische und objekthafte
Arbeiten auf dem Schöpfsieb, das sogenannte pulppainting, deutsch:
Zellstoffmalerei. Hierbei wird der gefärbte Faserstoff unterschiedlich dick auf das
Schöpfsieb aufgetragen. Das Pigment zieht in die Masse ein, ähnlich wie bei einem
Fresko, und bleibt so frisch und leuchtend. Zitat: „Materialien können in die Pulpe
eingelassen und überschöpft und abgeformt werden. Die Materialien verlieren dabei
ihre vormalige Bedeutung. Sie werden auf Struktur reduziert, zu Reihen und Serien
zusammengefasst und teilweise durch Zeichnungen ergänzt. Große Arbeiten werdenmit Wachs getränkt und verbunden“ Zitat Ende. Bekannte Künstler, wie David
Hockney und A.R. Penck haben ebenfalls mit dieser Technik experimentiert.
Bei Jutta Barth sind es oft Pflanzen oder Teile von Pflanzen, die sie in die Pulpe
einarbeitet, wie zum Beispiel bei „Papaver I“ – dort an der Wand hängend – und
auch als Abbildung auf der Einladung zu sehen. Papaver ist der botanische Name für
Mohn und seine Kapseln hat die Künstlerin in das pigmentierte Recyclingbütten
eingebracht und anschließend mit Aquarell übermalt.
Was Jutta Barth immer wieder beschäftigt, bewegt und inspiriert ist, Zitat: „das
Spannungsfeld zwischen Mensch und Natur, (die) Umwandlung als Prinzip und
Resultat von Neuschöpfung“ Zitat Ende.
Für die Künstlerin steht der Mensch nicht über der Schöpfung – geschmückt mit der
Herrscherkrone – sondern ist Teil der Welt und ihrer Kultur, mit der Aufgabe, achtsam
und achtungsvoll mit ihr umzugehen. Ihre Vision, die sicherlich von vielen verstanden
und geteilt wird, Zitat: „… Zivilisation und Natur in Einklang zu bringen“ Zitat Ende.
Von Siegrid Müller-Holtz sind 18 Arbeiten zu sehen, und zwar ausschließlich im
hinteren Raum. Die 16 Bildcollagen, die sich nahezu aus den Rahmen erheben und
in den Raum streben, bewegen sich in den Farben schwarz-rot-grau-weiß. Dazu
kommen zwei Buchobjekte.
Die Künstlerin wurde 1948 in Stralsund geboren, zog mit 11 Jahren nach Krefeld und
studierte von 1968 bis 1971 Kunst und Pädagogik in Münster. Danach lebte und
arbeitete sie als Freie Künstlerin bis 2007 in Berlin.
1996 verlegte sie ihr Atelier nach Caputh bei Potsdam, seit 2007 ihr Lebens- und
Arbeitsmittelpunkt.
Siegrid Müller-Holtz stellt ihre Werke regelmäßig seit 1989 aus – an vielen Orten in
Deutschland, im europäischen Ausland, aber auch in China, Brasilien, Indonesien
und Süd-Korea.
Ihre Arbeiten befinden sich in öffentlichen und privaten Sammlungen.
Sie ist Mitglied in mehreren künstlerischen Verbänden, in Deutschland und in
Frankreich.
Siegrid Müller-Holtz ist eine Finderin, eine Sammlerin, eine Performerin und eine
Botschafterin. Nur für ihre kunstvoll gefalteten und geformten Buchprojekte – zwei
davon hat sie wie gesagt mitgebracht – stöbert sie gezielt in alten Bücherstuben.
Ansonsten findet sie Dinge – wo auch immer auf dieser Welt – und zwar ohne zu
suchen. Eine Gabe, die auch Picasso besaß und beschrieb, Zitat: „Ich suche nicht –
ich finde. Finden – das ist das völlig Neue! Das Neue auch in der Bewegung. Alle
Wege sind offen und was gefunden wird, ist unbekannt“ Zitat Ende.Lust- und phantasievoll kombiniert die Künstlerin die Fundstücke mit verschiedenen
Materialien, unter Anwendung unterschiedlicher Techniken und weist ihnen so eine
neue Bestimmung zu. Sie werden in einen anderen Bedeutungszusammenhang
gebracht und zu – mitunter geheimnisvollen – Botschaften für eine, vielleicht
ungewohnte, Weltsicht.
Ein gutes Beispiel sind die drei Kompositionen aus der Serie „Schreib mal wieder“,
die rechts hinten an der Wand hängen.
Zitat: „Materialien wie Papiere, Pappen, Bitumen, Aluminium, verrostete Metalle etc.
haben für mich ihren Reiz und finden ebenfalls ihren Platz im Bild. Die Assoziationen
sind unerschöpflich“ Zitat Ende.
Annette Polzer, die dritte im Bunde, ist mit 19 Arbeiten vertreten – zwei Fotoserien
und einer Reihe Zeichnungen auf Monotypien – die Sie verteilt auf alle drei Räume
sehen können.
Ich habe sie im letzten Jahr kennengelernt, als sie im Frühjahr und Herbst an zwei
Ausstellungen hier beteiligt war. Insbesondere die beiden Acrylbilder, die sie bei
„FARBE & QUADRAT“ gezeigt hat, haben mich fasziniert, da sich, wie bei
Vexierbildern, ihre Inhalte, je nach Position der Betrachtung, veränderten. Die jetzt zu
sehenden Zeichnungen auf Monotypien erinnern mich daran.
Annette Polzer wurde 1960 in Hagen geboren. Schon als Kind hat sie gezeichnet
und gemalt und schon seit eh und je hatte sie eine Affinität zum Licht. So nahm sie –
neben zwei abgeschlossenen Berufsausbildungen – regelmäßig Kunstunterricht und
war unter anderem Gasthörerin an der Universität der Künste in Berlin.
Seit 1985 ist ihr Lebens- und Arbeitsmittelpunkt Berlin und seit 1987 zeigt sie ihre
Arbeiten bei Einzel- und Gruppenausstellungen, sowohl in Deutschland als auch in
Österreich und Frankreich.
Die Themen der Künstlerin drehen sich insbesondere um das Licht, die
Wahrnehmung und die Veränderung. Sie selbst bezeichnet ihre Werke als realistisch,
mit konkreten Bezügen zur Wirklichkeit. Je nachdem, wechselt Annette Polzer die
Technik und das Material, wobei ihr Fokus auf dem Malerischen liegt. Durch das
Spiel mit Licht und Schatten will sie die Flüchtigkeit einfangen und dokumentieren.
Bei der Fotoserie „Kristallvariationen“ – im Foyer – malt die Künstlerin mit dem
Fotoapparat und zeigt durch Nahaufnahmen die, Zitat: „Schönheit im Alltäglichen
und Unscheinbaren durch das Licht“ Zitat Ende. Das Licht bricht sich auf der
gegenständlichen Oberfläche und lässt sie wie kleine Kristalle aufblinken. Bei der
anderen Fotoserie „Lichtnotationen“ – hinter mir an der Wand zu sehen – zeichnet
sie mit der Kamera. Zitat: „Da mir die Linien wie Melodielinien erscheinen, habe ich
Notenschlüssel und Melodiebögen fotografisch gezeichnet“ Zitat Ende.Auch bei der dritten Serie, den „Lichtkapseln“ – acht überzeichnete Monotypien, die
gleich rechts im hinteren Raum hängen – liegt der Fokus auf dem Licht. Durch
reflektierende Farbe erscheinen und verschwinden die gezeichneten Linien, je nach
Lichteinfall: to see or not to see…? Das mitunter irritierende Spiel mit der eigenen
Wahrnehmung beginnt…
Last but not least, der einzige Mann im Quartett, Jürgen Kellig. Seine 14 Arbeiten,
hier zeigt er ausschließlich Zeichnungen, finden Sie in diesem Raum und links an der
Wand im hinteren Raum.
Er wurde 1953 in Berlin geboren. Als Anfangzwanzigjähriger erkundete er einige
Jahre lang die Welt und reiste durch Europa, nach Asien, Afrika und Nordamerika.
Sicherlich haben diese Erlebnisse und Eindrücke ihn menschlich und künstlerisch
beeinflusst.
Seit 1995 arbeitet Jürgen Kellig als Freier Künstler in den Bereichen Malerei,
Zeichnung und Fotografie.
Er erhielt verschiedenen Stipendien, bildete sich im Grafik- und Webdesign fort und
hat seit 2005 seinen Arbeitsplatz im Atelierhaus Sigmaringer Straße 1 in Berlin.
Seit 1997 ist er Mitglied im Bund Bildender Künstler und seit 2007 im Verein Berliner
Künstler.
Seine Arbeiten waren und sind seit 1999 in zahlreichen Ausstellungen zu sehen – als
Einzelpräsentation und im Rahmen von Gruppenausstellungen. Darüber hinaus ist
der Künstler in vielen Publikationen vertreten.
Zitat aus einer Rede von Sabine Aichele-Elsner: „Beeindruckend ist, dass Jürgen
Kellig rein intuitiv vorgeht. Er gehört zu den sensiblen Künstlern, die die Welt und
das Weltgeschehen aufsaugen und mit ihrer Kunst subtil kommentieren und
reflektieren“ Zitat Ende.
Der Künstler sieht und nutzt das leere Blatt als Spielfeld, das er – einer ersten Idee
folgend – mit Zeichen besetzt und in das er Spuren legt. Mit dieser Vorgehensweise
strukturiert und rhythmisiert er die Darstellung und formt sie letztendlich zu einem in
sich stimmigen Bild. In seinem Schaffensprozess betrachtet er sein Werk von allen
Seiten – dreht und wendet es – bis zum Schluss. Und das alles in Zitat: „einem still
konzentrierten Vergnügen“ Zitat Ende.
Hier zeigt er, wie gesagt, eine Auswahl seiner Zeichnungen, zum Beispiel aus der
Serie „Cluster“, aus der auch das Titelbild in der Einladung stammt, und das dort
hinten links in der Ecke hängt. Mich erinnert die Arbeit an die Figuration eines
Magnetfeldes, das – je nach Anziehungskraft – sein Bild verändert.
Bei der Serie „Vernetzungen“, insbesondere bei den Bildern im dritten Raum, fällt
mein Blick gebannt – wie durch ein Mikroskop – auf fein feingesponnene Machwerkeaus miteinander kommunizierenden Punkten und Linien. Sie wirken stabil, flexibel,
irgendwie lebendig. Einerseits verwirrend, andererseits geordnet. Eine eigene Welt,
die Einblick gewährt, die nach eigenen Regeln funktioniert und einem eigenen
Rhythmus folgt. Es ist ein Blick in einen – womöglich beliebigen? – Ausschnitt einer
unendlichen Geschichte.
Neben den genannten Arbeiten in kleinerem Format, beeindruckt und fasziniert der
„Paarlauf“, die beiden freihängenden großformatigen, bannerartigen
Tuschezeichnungen in den Lieblingsfarben des Künstlers, schwarz-weiß, die, wie ich
finde, unbedingt zusammengehören, da sie sich perfekt als Paar ergänzen und
bedingen.
„Weniger wäre mehr“ heißt es bei Lessing, also werde ich nun meine Anmerkungen
beenden, zumal das Quartett für weitere Informationen aus erster Hand zur
Verfügung steht.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit und schließe mit einem Zitat des
Kunsthistorikers Hans Sedlmayr: „Kunst ist Sprache, nichts als Sprache, doch eine
Sprache eigener Art und Struktur, anders als die begriffliche“.
Viktoria Krüger

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert